Das Schwierige für die, die noch da sind, ist ja nicht, dass ein Mensch jetzt gerade nicht da ist. Das Schlimme ist, dass dieser Mensch nie mehr da sein wird. Nie mehr ist eine lange Zeit. Darum hilft es ein wenig, nicht in so großen Dimensionen zu denken, sondern im Kleinen. Jetzt bist du nicht da. Nicht daran denken, dass du auch morgen nicht da bist, oder an meinem Geburtstag oder an deinem oder dass ich deine Stimme nicht mehr hören werde oder daran, dass ich dir nicht erzählen kann, dass ich meine Ausbildung abgeschlossen haben werde oder dass mich jemand wieder zum Lachen bringt. Jetzt bist du nicht da. Morgen ist ein neues jetzt. Und übermorgen auch. Bis ein wenig Zeit vergangen ist, vergangen sein wird und ich weniger daran denke, dass du jetzt nicht mehr da bist, sondern dass du einmal da warst.
Bilder aufgenommen in Vorarlberg – Bregenzerwald: Diedamskopf am Morgen
Am 4. Mai begann ich einen Artikel zu schreiben mit meinen Lieblingsfotos aus dem letzten Winter, einem lang gehegten Fotowunschmotiv, das ich mir in diesem Jahr endlich erfüllen konnte. Ich schrieb ihn nie fertig. Dabei…
…ist es: Ein ganz besonderes Jahr mit einer besonderen Zahl: im April waren es 13 Jahre Paleica auf WordPress (eine meiner Lieblingszahlen) und ein runder Geburtstag im Internet: denn vor 20 Jahren wurde dieser Nickname geboren, auch wenn ursprünglich mit k geschrieben. Zwei Jahrzehnte begleitet mich diese Identität nun, mehr als die Hälfte davon auf dieser Plattform und deutlich mehr als die Hälfte meines Lebens gibt es dieses Alter Ego, das Pseudonym zum Texteschreiben. Früher waren nur Buchstaben relevant, zwischenzeitlich fast nur Bilder und im Moment ist es eine Mischung aus beidem. Visuell und auditiv, Kopf-, Herz- und Bauch, querbeet, durch Höhen und Tiefen, durch Hypes und Krisen.
So laut und so verloren war es hier Als Stille bei uns wohnte anstatt dir
Jupiter Jones
Heute habe ich viele Gedanken im Herzen, viele Gefühle im Kopf, viele Worte in der Seele aber immer noch keinen Text. Werden die Zeiten für einen Text an dieser Stelle wieder kommen? Ich weiß es nicht. Heute nicht. Aber es ist Zeit für diese Bilder. Mit einer Glaskugel, die keine Zukunft voraussagen kann. Mit blitzblau, das aus meiner Welt gestern verschwunden ist.
Freedom is just another word for nothin‘ left to lose.
Janis Joplin
(Aber wenn es nicht mehr viel zu verlieren gibt, kann man vielleicht wieder so manches gewinnen.)
Ein Jahr Pandemie. Genauer gesagt: 1 Jahr und 1 Woche oder 53 Wochen oder 373 Tage seit dem ersten Lockdown. 374 Tage seit ich das letzte Mal – mit schlechtem Gewissen zwar, aber doch, eine Freundin umarmt habe, völlig fassungslos, dass das was kommt real ist. Ein totales Lahmlegen von so gut wie allem, das mein Privatleben ausgemacht hat. Fragezeichen, so viele Fragezeichen.
53 Wochen später ist mein Leben anders. Ich kann mich nur noch schwach an den Geruch von Theater erinnern oder daran, wie es ist, mit Freunden abends Essen zu gehen, erst kurz vor dem Schlafen ins Bett zu fallen, Reisen zu planen und die seltsame Nicht Ort-Stimmung von Flughäfen zu spüren oder Livemusik zu hören. Es ist nur ein Jahr und doch ist es eine Ewigkeit, in der sich Vieles neu geformt hat und neue Realitäten entstanden sind.
Vieles ist weggefallen und anderes ist geblieben. Meine Liebe zu tiefstehender Sonne zum Beispiel und die zu guten Geschichten. Es gibt viele Geschichten darüber, wie ProtagonistInnen Zäsuren in ihrem Leben erleben, was es mit dem Leben und einem selbst macht wenn plötzlich alles anders ist, dass es schmerzhaft und beschissen ist, aber auch Chancen bietet, wenn man Glück hat.
Manchmal tut es gut, Zeit an Orten zu verbringen, an denen sich nicht viel verändert hat. Schönbrunn ist immer da und immer gleich, auch wenn weniger Touristen da sind und am Vorplatz kein Christkindlmarkt stattgefunden hat, hinter dem Schloss, zwischen den Alleen, da merkt man nicht viel von Pandemie. Menschen spazieren und joggen und Kinder wühlen in den Blättern oder Kieselsteinen und Krähen und Enten diskutieren und plaudern miteinander. Bis auf die Krähen und Enten halten auch zumindest die fremden Gruppen die Abstände ein. Zwischen all den vertrauten Geräuschen kann man sich gut und gerne mal verlieren, im Leben einer anderen. Zum Beispiel im Leben von Claire, die an einem magischen Ort in Schottland verloren geht und 200 Jahre in der Geschichte zurückreist. Denn wenn der Pandemie-Blues zuschlägt und man keine Lust auf backen hat, dann hilft ein Spaziergang draußen mit einer dieser Geschichten im Ohr. Audible machts möglich – denn mit der Hörspielapp kann man sich mit Claire und Jamie im Ohr durch die Lichtflecken der Sonne leiten lassen, die durch die Blätter leuchten, heute, in Wien und damals, in Schottland.
Wir leben in einer seltsamen Zeit. Hätte man mir an Silvester zu 2020 erzählt, wie mein Leben nur wenige Monate später aussehen würde, ich hätte es für ähnlich wahrscheinlich gehalten wie eine Zeitreise. Doch wie man plant und denkt, so kommt es nie. Und immerhin – die bunten Blätter und schönen Gärten sind da, wie eh und je, trotzdem allem, was um sie herum passiert und warten darauf, ihre Pforten wieder zu öffnen.
Die wunderbare Mitzi hat mich (mal wieder!) zu einem Text inspiriert. Oder einer Gedankenspielerei. Ob ein Text daraus wird, wird man erst sehen. Aber das ist ja immer so. Da ist ein Gedanke, der formt sich zu Worten und auf einmal, da kitzelt es im Kopf und in den Fingern und ich fange an zu tippen. Manchmal euphorisch in einem bis zum Ende. Manchmal nur einen Absatz, den ich Tage oder Wochen später kopfschüttelnd lösche und manchmal entwickelt sich irgendwas dazwischen. Wir werden ja sehen.
Die Mitzi (ja, so sagt man das bei uns in Wien), die ist ein Bauchmensch. Sie ist da sehr überzeugt davon. Wunderschön wie sie das beschreibt. Warum sich ihre Seele im Bauch am wohlsten fühlt, nicht im Kopf, nicht im Herzen, nicht in den Augen oder gar in den Armen oder Beinen. Ich kam fast dazu mich zu fragen, warum überhaupt jemand etwas anderes als ein Bauchmensch sein kann und dachte mir dann, klar, das stimmt für mich auch. Aber dann dachte ich, hm. Kopfmensch, zwar nicht als solche geboren, aber irgendwie dazu geworden. Und Herzmensch, ja, irgendwie auch, denn letztlich ist es ja doch das Herz, dem zu folgen ich mir als oberstes Ziel gemacht habe.
Auch darauf hatte Mitzi eine Antwort: „Du bist vielleicht ein verkopfter Herzensmensch, der auf sein Bauchgefühl hört?“ Ich glaube, das gefällt mir. Ich lass das so.
(Und was die Bilder betrifft: ich dachte, ein bisschen frühlingshafte Farbtupfer schaden nicht in der aktuellen und farblosen Eiseskälte, brr!)
In einer Retrospektive über die 10er Jahre, die ich letztlich nie veröffentlicht habe, schrieb ich als Abschluss:
Meine 10er Jahre waren eine sprichwörtliche Odyssee, weg von meinem Exbeziehungsschlachtfeld, durch stürmische Gewitter, bis ich endlich wieder in mir zuhause ankommen durfte. Und mit „in mir ankommen“ meine ich keineswegs ankommen, denn indem ich all meine Personas endlich einmal zu fassen bekommen und dank schwarzer Tinte unter der Haut endlich zumindest in einer Schnittmenge dingfest machen konnte, bin ich bereit, aufzubrechen, auf meinen eigenen Weg. Mögen die Twenties roaring werden, mögen wir lachen, aber auch weinen, uns streiten, miteinander lachen, lieben, leben und vor allem: immer bei uns bleiben.
Von meinem letzten Roadtrip durch Südfrankreich hab ich ja hier noch praktisch gar nichts erzählt. Vielleicht werde ich das noch, mal sehen. Insgesamt war es ja eine ambivalente Reise, wie so Vieles im letzten Jahr. Was aber einfach nur schön war, ganz ohne wenn und aber, waren die Unmengen an Mohnfeldern, an denen wir vorbei gekommen sind. Warum fotografiert niemand die Provence im Mohnrausch? Wer braucht Lavendel, wenn man Mohnblumen haben kann?
Ich liebe Wien. Ich hatte dieses Gefühl ja eine Weile vergessen, doch jetzt erinnere ich mich wieder sehr gut daran. Ich liebe es, wenn die Stadt im Frühling erwacht, wenn die Menschen nach der langen, tristen, grauen Jahreszeit zum ersten Mal wieder in den vielzitierten Übergangsjacken in den Schanigärten sitzen und Spritzer trinken und ganz auf ihren sonst so sprichwörtlichen Wiener Grant vergessen.
Liebevoll wurde ich (ausnahmsweise nicht von WordPress) daran erinnert, dass sich der Geburtstag dieser Präsenz mal wieder jährt. 12 Jahre Paleica auf WordPress (19 Jahre Paleica/Paleika im WWW, eijeijei). Drahtseilakt – Episodenfilm – Episodenpoesie. Immer gleich und doch so anders. Alle Jahre wieder ist es Zeit für ein Resumée…
Alles Begann mit einem Blick durch das Dickicht auf die Zukunft.
Vor etwa zwei Wochen habe ich meine gesundheitsbedingte selbst auferlegte Tagesmedienabstinenz unterbrochen, weil die Welt begann, sich langsamer zu drehen und auf einmal gefühlt stehengeblieben ist. In der ersten Märzwoche waren wir noch auf unserer Branchenmesse. Mit Händewaschen, teilweise ohne Händeschütteln, mit Desinfektionsmittel und Verunsicherung, aber wir waren dort, in der Annahme, dass es sich auch diesmal wieder um einen Medienhype handeln würde. Eine Woche später war alles anders.
Unlängst – im Zuge meines Wort-Bild-Projektes – habe ich darüber nachgedacht, was Fotografie und Schreiben für mich bedeuten, was ich wofür warum brauche und nutze und was die beiden Ausdrucksformen mit mir machen.
Im 21. Jahrhundert verstehen wir so Vieles. Wir können so Vieles erklären und abbilden, doch von den essenziellen Dingen haben wir noch immer nicht mehr als eine Ahnung.
Alle Jahre wieder erstrahlt Wien in der (Vor)Weihnachtszeit in einem besonderen Glanz, den ich unglaublich liebe. Alle Jahre wieder genieße ich es, mich davon verzaubern zu lassen. Egal wie angeschlagen meine Beziehung zu dieser Stadt auch war, in den Wochen vor Heiligabend spielte das alles keine Rolle.