So wie man plant und denkt – so kommt es nie.

18 Monate oder eineinhalb Jahre oder 547 Tage seit Corona bei uns angekommen ist. 547 Tage, in denen in meinem Leben das Unterste zuoberst gekehrt wurde, kein Stein am anderen blieb.

Nichts von dem, das heute mein Leben ausmacht, hätte ich vor 547 Tagen so kommen sehen. Es baute sich auf wie ein Tsunami, war plötzlich da, eine Welle, die meine erstarrte und versteinerte Seele brach, freilegte und mir die Chance gab, das bloße Abziehbild, die Blaupause einer Illusion anderer, zu erkennen, zu der mein Leben sich zu entwickeln drohte, das überall rieb und drückte und mich mehr und mehr taub werden ließ.

Ich sprach das lauteste „Nein.“ meines bisherigen Lebens, ohne den Dominoeffekt vorauszusehen. Ich versuchte zu lernen zu akzeptieren, was dann kam, denn es war immer der einzig wahre Weg, wann auch immer ich ihn zu gehen bereit sein würde.

Ich lerne wie ein Kind, jeden Tag, Dinge die zu lernen mir zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich waren, Dinge die für andere genauso normal sind wie Atmen oder Laufen. Doch ich habe erkannt, jeder authentische Weg ist anders und die Beschaffenheit der Steine, die einem in den Weg kullern sehen nunmal auf jedem Weg anders aus – ein Zeichen dafür, dass es wahrhaftig die eigenen Steine sind. Doch die sind auch die schwersten. Die scheinbar unüberwindbarsten.

Während es von außen wie ein Spaziergang wirken mag, wähnt man sich selbst mitten in Mordor, kurz vor dem letzten Aufstieg zum Schicksalsberg und spürt den Sog des Ringes, von dem sich das Innerste kaum zu trennen vermag. So wissen wir genau: ein Happy End gibt es nur, wenn Samweis uns ein Stück des Weges trägt und uns ein wenig vom Gewicht des Einen Ring abnimmt, denn alleine schafft man solche Reisen nicht.

Das Puzzle meiner Biografie war seitlich an den Abgrund gerutscht, nass vom Abwasser und den Tränen, die Teile verbogen, schief und nicht mehr passend. Es war Zeit, das Bild in die Tonne zu treten, Zeit, ein neues zu zeichnen, neue Teile zu schaffen, zu brechen, zu kleben.

Wie die meisten beim Puzzlen, beginne auch ich am Rand. Die Ecken und Kanten kann ich langsam erkennen. Von allen Seiten arbeite ich mich nach innen und fülle die weißen und schwarzen Flecken mit Erinnerungen, mit Wünschen und Plänen. Vieles ist noch löchrig, aber das Motiv wird langsam erkennbar.

Jetzt oder für immer.

Das Schwierige für die, die noch da sind, ist ja nicht, dass ein Mensch jetzt gerade nicht da ist. Das Schlimme ist, dass dieser Mensch nie mehr da sein wird. Nie mehr ist eine lange Zeit. Darum hilft es ein wenig, nicht in so großen Dimensionen zu denken, sondern im Kleinen. Jetzt bist du nicht da. Nicht daran denken, dass du auch morgen nicht da bist, oder an meinem Geburtstag oder an deinem oder dass ich deine Stimme nicht mehr hören werde oder daran, dass ich dir nicht erzählen kann, dass ich meine Ausbildung abgeschlossen haben werde oder dass mich jemand wieder zum Lachen bringt. Jetzt bist du nicht da. Morgen ist ein neues jetzt. Und übermorgen auch. Bis ein wenig Zeit vergangen ist, vergangen sein wird und ich weniger daran denke, dass du jetzt nicht mehr da bist, sondern dass du einmal da warst.

Bilder aufgenommen in Vorarlberg – Bregenzerwald: Diedamskopf am Morgen

Manche Glaskugeln findet man leichter als andere: 13 Jahre Paleica auf WordPress

Am 4. Mai begann ich einen Artikel zu schreiben mit meinen Lieblingsfotos aus dem letzten Winter, einem lang gehegten Fotowunschmotiv, das ich mir in diesem Jahr endlich erfüllen konnte. Ich schrieb ihn nie fertig. Dabei…

…ist es: Ein ganz besonderes Jahr mit einer besonderen Zahl: im April waren es 13 Jahre Paleica auf WordPress (eine meiner Lieblingszahlen) und ein runder Geburtstag im Internet: denn vor 20 Jahren wurde dieser Nickname geboren, auch wenn ursprünglich mit k geschrieben. Zwei Jahrzehnte begleitet mich diese Identität nun, mehr als die Hälfte davon auf dieser Plattform und deutlich mehr als die Hälfte meines Lebens gibt es dieses Alter Ego, das Pseudonym zum Texteschreiben. Früher waren nur Buchstaben relevant, zwischenzeitlich fast nur Bilder und im Moment ist es eine Mischung aus beidem. Visuell und auditiv, Kopf-, Herz- und Bauch, querbeet, durch Höhen und Tiefen, durch Hypes und Krisen.

So laut und so verloren war es hier
Als Stille bei uns wohnte anstatt dir

Jupiter Jones

Heute habe ich viele Gedanken im Herzen, viele Gefühle im Kopf, viele Worte in der Seele aber immer noch keinen Text. Werden die Zeiten für einen Text an dieser Stelle wieder kommen? Ich weiß es nicht. Heute nicht. Aber es ist Zeit für diese Bilder. Mit einer Glaskugel, die keine Zukunft voraussagen kann. Mit blitzblau, das aus meiner Welt gestern verschwunden ist.

Freedom is just another word for nothin‘ left to lose.

Janis Joplin

(Aber wenn es nicht mehr viel zu verlieren gibt, kann man vielleicht wieder so manches gewinnen.)

Blätter- und Gedankenwirbel

Ein Jahr Pandemie. Genauer gesagt: 1 Jahr und 1 Woche oder 53 Wochen oder 373 Tage seit dem ersten Lockdown. 374 Tage seit ich das letzte Mal – mit schlechtem Gewissen zwar, aber doch, eine Freundin umarmt habe, völlig fassungslos, dass das was kommt real ist. Ein totales Lahmlegen von so gut wie allem, das mein Privatleben ausgemacht hat. Fragezeichen, so viele Fragezeichen.

53 Wochen später ist mein Leben anders. Ich kann mich nur noch schwach an den Geruch von Theater erinnern oder daran, wie es ist, mit Freunden abends Essen zu gehen, erst kurz vor dem Schlafen ins Bett zu fallen, Reisen zu planen und die seltsame Nicht Ort-Stimmung von Flughäfen zu spüren oder Livemusik zu hören. Es ist nur ein Jahr und doch ist es eine Ewigkeit, in der sich Vieles neu geformt hat und neue Realitäten entstanden sind.

Vieles ist weggefallen und anderes ist geblieben. Meine Liebe zu tiefstehender Sonne zum Beispiel und die zu guten Geschichten. Es gibt viele Geschichten darüber, wie ProtagonistInnen Zäsuren in ihrem Leben erleben, was es mit dem Leben und einem selbst macht wenn plötzlich alles anders ist, dass es schmerzhaft und beschissen ist, aber auch Chancen bietet, wenn man Glück hat.

Manchmal tut es gut, Zeit an Orten zu verbringen, an denen sich nicht viel verändert hat. Schönbrunn ist immer da und immer gleich, auch wenn weniger Touristen da sind und am Vorplatz kein Christkindlmarkt stattgefunden hat, hinter dem Schloss, zwischen den Alleen, da merkt man nicht viel von Pandemie. Menschen spazieren und joggen und Kinder wühlen in den Blättern oder Kieselsteinen und Krähen und Enten diskutieren und plaudern miteinander. Bis auf die Krähen und Enten halten auch zumindest die fremden Gruppen die Abstände ein. Zwischen all den vertrauten Geräuschen kann man sich gut und gerne mal verlieren, im Leben einer anderen. Zum Beispiel im Leben von Claire, die an einem magischen Ort in Schottland verloren geht und 200 Jahre in der Geschichte zurückreist. Denn wenn der Pandemie-Blues zuschlägt und man keine Lust auf backen hat, dann hilft ein Spaziergang draußen mit einer dieser Geschichten im Ohr. Audible machts möglich – denn mit der Hörspielapp kann man sich mit Claire und Jamie im Ohr durch die Lichtflecken der Sonne leiten lassen, die durch die Blätter leuchten, heute, in Wien und damals, in Schottland.

Wir leben in einer seltsamen Zeit. Hätte man mir an Silvester zu 2020 erzählt, wie mein Leben nur wenige Monate später aussehen würde, ich hätte es für ähnlich wahrscheinlich gehalten wie eine Zeitreise. Doch wie man plant und denkt, so kommt es nie. Und immerhin – die bunten Blätter und schönen Gärten sind da, wie eh und je, trotzdem allem, was um sie herum passiert und warten darauf, ihre Pforten wieder zu öffnen.

In freundlicher Zusammenarbeit mit Audible.

Mein Wort für 2021 oder Zentralfriedhof im Herbst: Details

In einer Retrospektive über die 10er Jahre, die ich letztlich nie veröffentlicht habe, schrieb ich als Abschluss:

Meine 10er Jahre waren eine sprichwörtliche Odyssee, weg von meinem Exbeziehungsschlachtfeld, durch stürmische Gewitter, bis ich endlich wieder in mir zuhause ankommen durfte. Und mit „in mir ankommen“ meine ich keineswegs ankommen, denn indem ich all meine Personas endlich einmal zu fassen bekommen und dank schwarzer Tinte unter der Haut endlich zumindest in einer Schnittmenge dingfest machen konnte, bin ich bereit, aufzubrechen, auf meinen eigenen Weg. Mögen die Twenties roaring werden, mögen wir lachen, aber auch weinen, uns streiten, miteinander lachen, lieben, leben und vor allem: immer bei uns bleiben.

Mein Wort für 2021 oder Zentralfriedhof im Herbst: Details weiterlesen

Das war 2020: mein Jahr mit dem Wort „Selbstvertrauen“

Wie schreibt man ein Fazit über ein Jahr wie dieses? Als ich im Jänner mein Wort „Selbstvertrauen“ definierte und meine Gedanken dazu hier veröffentlichte ahnte ich noch absolut gar nichts davon, was auf mich zukommen würde. Ich dachte, mein Leben wäre endlich auf Schiene, endlich – so dachte ich – war ich auf allen Ebenen dorthin unterwegs wo ich vorhatte unterwegs zu sein. Und 2020 so: hold my beer (wo kommt eigentlich dieser seltsame Meme her?) Das war 2020: mein Jahr mit dem Wort „Selbstvertrauen“ weiterlesen

Ich wachse und lerne und bleibe doch wie ich bin.

Es gäbe so viel zu sagen und zu schreiben im Moment aber aus verschiedenen Gründen ist das nicht möglich. So viele Gedanken, die sich drehen im Kopf, die sich formen zu Worten, die letztlich nur leise geflüstert werden obwohl man sie laut herausschreien will. Doch das muss warten. Auch wenn die Zeit dazu kommen wird, da bin ich zuversichtlich, noch ist sie nicht da. Ich wachse und lerne und bleibe doch wie ich bin. weiterlesen

Frühlingsstadtspaziergang und 12 Jahre Paleica auf WordPress

Liebevoll wurde ich (ausnahmsweise nicht von WordPress) daran erinnert, dass sich der Geburtstag dieser Präsenz mal wieder jährt. 12 Jahre Paleica auf WordPress (19 Jahre Paleica/Paleika im WWW, eijeijei). Drahtseilakt – Episodenfilm – Episodenpoesie. Immer gleich und doch so anders. Alle Jahre wieder ist es Zeit für ein Resumée…

Alles Begann mit einem Blick durch das Dickicht auf die Zukunft.

Frühlingsstadtspaziergang und 12 Jahre Paleica auf WordPress weiterlesen

Leben in Zeiten von Corona

Vor etwa zwei Wochen habe ich meine gesundheitsbedingte selbst auferlegte Tagesmedienabstinenz unterbrochen, weil die Welt begann, sich langsamer zu drehen und auf einmal gefühlt stehengeblieben ist. In der ersten Märzwoche waren wir noch auf unserer Branchenmesse. Mit Händewaschen, teilweise ohne Händeschütteln, mit Desinfektionsmittel und Verunsicherung, aber wir waren dort, in der Annahme, dass es sich auch diesmal wieder um einen Medienhype handeln würde. Eine Woche später war alles anders.

Leben in Zeiten von Corona weiterlesen

Schreibgefühle

„Warum schreiben Sie?“, fragt mich diejenige, die mich seit einigen Jahren dabei unterstützt, meine Zwiebelschichten zu entzwiebeln. „Weil ich muss.“, antwortet eine Facette meines Ichs. „Ich kann nicht anders. Irgendwo muss das alles ja hin.“ „Und warum schreiben Sie es dann nicht einfach nur für sich?“ „Weil ich dann nicht schreiben kann. Nicht so. Weil ich es erzählen muss. Weil ich es teilen will. Weil ich immer irgendwie hoffe, dass es den Weg von jemand anderem leichter machen kann. Dass sich jemand vielleicht weniger einsam oder verloren fühlt, weil da draußen auch andere so fühlen und denken, auch andere genau diesen Weg gehen oder gehen mussten, genau über diesen Stein gestolpert sind und das Leben weiterging, weil das Internet für mich immer der Ort war, an dem alles Platz hatte, das für das echte Leben zu düster war, oder zu laut, zu viel, zu echt, zu sehr ich.“

Schreibgefühle weiterlesen

Sag Mister Mind, Perfektion ist eine Illusion!

Was ist da eigentlich alles passiert, rund um diesen Sonntag, rund um diese flüchtigen siebeneinhalb Stunden, die gleichzeitig siebeneinhalb Minuten oder siebeneinhalb Tage hätten sein können? Siebeneinhalb Stunden Gefühlschaos und innere Stürme, in alle Richtungen.

Sag Mister Mind, Perfektion ist eine Illusion! weiterlesen

Vom Fotografieren und Schreiben. Mit Bildern aus dem Salzkammergut 2018: Am Almsee

Unlängst – im Zuge meines Wort-Bild-Projektes – habe ich darüber nachgedacht, was Fotografie und Schreiben für mich bedeuten, was ich wofür warum brauche und nutze und was die beiden Ausdrucksformen mit mir machen.

Vom Fotografieren und Schreiben. Mit Bildern aus dem Salzkammergut 2018: Am Almsee weiterlesen