Blätter- und Gedankenwirbel

Ein Jahr Pandemie. Genauer gesagt: 1 Jahr und 1 Woche oder 53 Wochen oder 373 Tage seit dem ersten Lockdown. 374 Tage seit ich das letzte Mal – mit schlechtem Gewissen zwar, aber doch, eine Freundin umarmt habe, völlig fassungslos, dass das was kommt real ist. Ein totales Lahmlegen von so gut wie allem, das mein Privatleben ausgemacht hat. Fragezeichen, so viele Fragezeichen.

53 Wochen später ist mein Leben anders. Ich kann mich nur noch schwach an den Geruch von Theater erinnern oder daran, wie es ist, mit Freunden abends Essen zu gehen, erst kurz vor dem Schlafen ins Bett zu fallen, Reisen zu planen und die seltsame Nicht Ort-Stimmung von Flughäfen zu spüren oder Livemusik zu hören. Es ist nur ein Jahr und doch ist es eine Ewigkeit, in der sich Vieles neu geformt hat und neue Realitäten entstanden sind.

Vieles ist weggefallen und anderes ist geblieben. Meine Liebe zu tiefstehender Sonne zum Beispiel und die zu guten Geschichten. Es gibt viele Geschichten darüber, wie ProtagonistInnen Zäsuren in ihrem Leben erleben, was es mit dem Leben und einem selbst macht wenn plötzlich alles anders ist, dass es schmerzhaft und beschissen ist, aber auch Chancen bietet, wenn man Glück hat.

Manchmal tut es gut, Zeit an Orten zu verbringen, an denen sich nicht viel verändert hat. Schönbrunn ist immer da und immer gleich, auch wenn weniger Touristen da sind und am Vorplatz kein Christkindlmarkt stattgefunden hat, hinter dem Schloss, zwischen den Alleen, da merkt man nicht viel von Pandemie. Menschen spazieren und joggen und Kinder wühlen in den Blättern oder Kieselsteinen und Krähen und Enten diskutieren und plaudern miteinander. Bis auf die Krähen und Enten halten auch zumindest die fremden Gruppen die Abstände ein. Zwischen all den vertrauten Geräuschen kann man sich gut und gerne mal verlieren, im Leben einer anderen. Zum Beispiel im Leben von Claire, die an einem magischen Ort in Schottland verloren geht und 200 Jahre in der Geschichte zurückreist. Denn wenn der Pandemie-Blues zuschlägt und man keine Lust auf backen hat, dann hilft ein Spaziergang draußen mit einer dieser Geschichten im Ohr. Audible machts möglich – denn mit der Hörspielapp kann man sich mit Claire und Jamie im Ohr durch die Lichtflecken der Sonne leiten lassen, die durch die Blätter leuchten, heute, in Wien und damals, in Schottland.

Wir leben in einer seltsamen Zeit. Hätte man mir an Silvester zu 2020 erzählt, wie mein Leben nur wenige Monate später aussehen würde, ich hätte es für ähnlich wahrscheinlich gehalten wie eine Zeitreise. Doch wie man plant und denkt, so kommt es nie. Und immerhin – die bunten Blätter und schönen Gärten sind da, wie eh und je, trotzdem allem, was um sie herum passiert und warten darauf, ihre Pforten wieder zu öffnen.

In freundlicher Zusammenarbeit mit Audible.

Fotoparade 2020 Spezial – Coole Bilder trotz Corona!

Lange ist es her, dass ich einen „einfach so“ Post erstellt habe. Einfach um der Bilder willen. Die letzten Monate – wenn nicht vielleicht sogar mehr – haben irgendwie nach mehr Schwere verlangt. Nach mehr Text, Gedanken und Anlass. Aber die Idee von Michael, seine Reise-Fotoparade diesmal offener zu gestalten und die TeilnehmerInnen zeigen zu lassen, was sie auch während dieser reiseeingeschränkten Zeit erlebt haben, gefällt mir – und deswegen will ich doch glatt auch mal wieder dabei sein.

Bisher habe ich ja 3x dran teilgenommen – 2017 Teil 1, Teil 2 und beim ersten Teil 2018.

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Eins, zwei, drei Entscheidungen

Wie oft habe ich mich schon gefragt “Was wäre gewesen, wenn?” Wie viel Zeit habe ich verbracht mit dem Phantasieren über meine virtuellen Biografien? Normalerweise erhält man auf derlei Hirngespinste keine Antwort. Wie oft hat uns eine Entscheidung das Leben gerettet? Wie viele Wendungen hat das Leben genommen, weil wir anderswo abgebogen, nicht mehr über die blinkende Ampel gefahren oder dem Bus hinterhergelaufen sind oder zwei Minuten später das Haus verlassen haben?

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Der Montagabend vor dem Lockdown oder: Schüsse in Wien

Es war ein Tag, an dem der Stress in Wellen kam. Der Montag vor dem Lockdown. Ambulanzdienst. Alles für den unerwarteten Notbetrieb vorbereiten. Mails schreiben. Den ganzen Tag läuten alle Telefone. Ein bunt zusammengewürfeltes Team am Vormittag, ein etwas eingespielteres Team am Abend. Ein bisschen Zeit zum Durchatmen im 5. Stock. Ein bisschen recherchieren wohin es in der Zukunft gehen sollte. Hm, noch etwas zu Abend essen? Oben ist jetzt alles zu, eigentlich könnte ich gehen, als ich durchs Stiegenhaus runter laufe höre ich Stimmen, oh, sie sind dann wohl schon weg. Soll ich gleich gehen? Nein, ich schaue ob V. doch auf mich gewartet hat. Anscheinend waren es andere Stimmen. Es findet noch der letzte Trubel statt, ein paar Akten verräumen, Licht aus. Fünf Minuten später. Raus raus, schnell, alle wollen nachhause, ein flüchtiges Ciao, bis bald, wir sehen uns, auch wenn keiner weiß wann, weil wir nur in sehr reduzierter Zahl Dienst haben werden die nächsten Wochen, keiner weiß wie lange, ein seltsames Gefühl. Es ist 20:05.

Wir gehen los, alle zehn von uns in unterschiedliche Richtungen. Ich zuerst geradeaus, bis mir einfällt, dass ich ja links abbiegen muss. Im Hintergrund hatte ich schon ein Knallen gehört, aber nicht bewusst wahrgenommen. Wir leben in einer Großstadt, da gibt es öfter solche Geräusche. Die Bim steht da, Mist, schon wieder verpasse ich sie, egal, es ist schon spät, ich will nicht laufen, es ist ungewöhnlich schwül an diesem Montagabend im November. Oh, die Ampel ist rot, na dann hopp hopp, ah, da vorne ist noch eine Kollegin, da kann ich auch noch schnell in den Waggon springen.

Die Türe ist offen. Am Boden liegt ein Mann. Menschen sitzen herum. Es wirkt alles normal. Wieso liegt er am Boden? Er hat eine gelbe Jacke an. Glaube ich. Eine gelbe Jacke und ein großes Instrument, ein Cello, einen Kontrabass, in einer beigen Hülle. Er liegt am Boden und ist wach, wieso steht er nicht auf? Seine Augen sind offen, er bewegt sich, glaube ich, oder? Ich steige nicht ein, ich denke, die Bim wird nicht weg fahren und auf die Rettung warten wenn ein medizinischer Zwischenfall passiert ist, hm, blöd. Es sind genug Menschen da, ich denke dass alles wohl schon soweit geregelt ist. Das Blut sehe ich nicht.

Das alles spielt sich vermutlich in Bruchteilen von Sekunden ab. Auf einmal packt mich meine Kollegin am Ärmel. Hier wurde geschossen. Im nächsten Moment höre ich es. Es knallt zwei mal, glaube ich. Der Mann wurde erschossen! Was? Der liegt doch nur da und ist wach? Neben uns eine alte Frau, wo kam sie her? Ich weiß es nicht. Sie sagt etwas von Männer (ich glaube im Plural) haben geschossen. In die Bim geschossen? Ich kann mich nicht erinnern. Sie sind Richtung Schwedenplatz gelaufen. Mein Hirn selektiert Informationen. Ich schaue Isabella an. Meine Augen sagen „weg hier!“ und ich sage nur: „Rennen?“ Und wir rennen los. „Wohin?“ „Ich weiß nicht, weg hier! Durch die Gassen? Wo nicht viel los ist, zum Volkstheater?“ In dem Moment will ich nur weg von überall dort, wo Menschenansammlungen sein können. Ein paar Sekunden später knallt es wieder. Jetzt wissen wir es, es sind Schüsse. Zwei mal? Vier mal? Keine Ahnung. Die Schüsse kommen auf jeden Fall aus unterschiedlichen Richtungen. Weiterlaufen ist keine Option, wir wissen nicht, wo die Täter sind, wie viele es sind. Aber sie sind heroben. Sie schaut mich an. „Ubahn?“ Ich überlege schnell, Ubahn erscheint mir riskant, aber schnell. Und ich will weg. Mir ist klar, wenn wir jetzt hier nicht wegkommen, werden wir festsitzen, die Stadt wird abgeriegelt werden und das ertrage ich nicht, soviel ist mir klar in diesem Moment. Auch wenn ich weiß, dass es gefährlich ist, auch wenn ich weiß, dass die Entscheidung, die ich gerade so oder so treffe, schiefgehen kann, entscheide ich mich dafür, zu laufen.

Wir haben Glück, endlich, einmal. Ich danke jeder verpassten Ubahn, über die ich mich geärgert habe dafür, dass diese jetzt da war und wir gerade noch hinein springen konnten bevor sie losfuhr.

*

Am Montag Abend gab es in Wien einen Terroranschlag, bei dem um 20:04 die ersten Schüsse fielen, ca. 50 m von dem Ort, an dem ich um 20:05 auf die Straße kam. Wie knapp ich dem entkommen war, vielleicht selbst dem Täter gegenüberzustehen, wurde mir erst Stunden später bewusst. An diesem Tag hatte ich Glück im Unglück. Jede einzelne Entscheidung, die ich getroffen hatte, hat mich letztendlich in Sicherheit geführt. Andere Menschen mussten stundenlang festsitzen, warten, in der Ungewissheit, wie es für sie ausgehen würde. Die Meldungen waren chaotisch. Es war zwischenzeitlich von mehreren Tatorten die Rede. Geiselnahmen. Sprengstoffgürtel. Vieles davon stellte sich am Ende als falsch heraus. Doch das hilft den Menschen nicht, die diese Angst erlebt haben.

Wir haben Staatstrauer in Wien. Während sich die einen nicht mehr wirklich vor die Türe trauen, geht für die anderen das Leben ganz normal weiter. „Normal“ – so normal es während einem Lockdown light und einer Pandemie eben möglich ist.

Gute Nacht, 2020.

Stadtgefühle in Zeiten von Corona oder Sonne, Mond und ich.

Ich liebe Wien. Ich hatte dieses Gefühl ja eine Weile vergessen, doch jetzt erinnere ich mich wieder sehr gut daran. Ich liebe es, wenn die Stadt im Frühling erwacht, wenn die Menschen nach der langen, tristen, grauen Jahreszeit zum ersten Mal wieder in den vielzitierten Übergangsjacken in den Schanigärten sitzen und Spritzer trinken und ganz auf ihren sonst so sprichwörtlichen Wiener Grant vergessen.

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Frühlingsstadtspaziergang und 12 Jahre Paleica auf WordPress

Liebevoll wurde ich (ausnahmsweise nicht von WordPress) daran erinnert, dass sich der Geburtstag dieser Präsenz mal wieder jährt. 12 Jahre Paleica auf WordPress (19 Jahre Paleica/Paleika im WWW, eijeijei). Drahtseilakt – Episodenfilm – Episodenpoesie. Immer gleich und doch so anders. Alle Jahre wieder ist es Zeit für ein Resumée…

Alles Begann mit einem Blick durch das Dickicht auf die Zukunft.

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Wiener Weihnachtsspaziergang

Alle Jahre wieder erstrahlt Wien in der (Vor)Weihnachtszeit in einem besonderen Glanz, den ich unglaublich liebe. Alle Jahre wieder genieße ich es, mich davon verzaubern zu lassen. Egal wie angeschlagen meine Beziehung zu dieser Stadt auch war, in den Wochen vor Heiligabend spielte das alles keine Rolle.

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Was wäre Wien ohne Melancholie?

(Wien sehen und sterben wäre jetzt als Titel irgendwie zu plump gewesen, oder?)

Wien. Wien ist mein Zuhause und mein ewiger Reibungspunkt. Ich bin hier geboren und an der Stadtgrenze aufgewachsen und doch kommt es mir so schwer über die Lippen zu sagen, ja, ich bin Wienerin und das, obwohl ich so vieles an der Stadt liebe – ich vergesse es nur so häufig und versinke im Klischee des Schwarzmalens und Schwarzsehens.

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Das wird, das ist, das war 2018! & [Wort] Mutausbruch in Spiegelungen

Ende 2017 war ich erfreut und begeistert, meine Worte aus dem Jänner gefunden zu haben, die ich für eine Zusammenführung aus Vor- und Rückschau vorbereitet hatte. Es hat mir gut getan, so anschaulich reflektieren zu können, was ich Anfang des Jahres für wichtig gehalten, was ich mir vorgenommen hatte und was ich erreichen wollte, was mir über das Jahr gelungen war und was sich aus dem Fokus verschoben hatte.

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S T O P P ft. Schönbrunn im Herbst

Vor einiger Zeit stolperte ich wieder über meine Hochzeitsfotos und erinnerte mich an all die wunderbaren Dinge, die das Jahr 2017 bereithielt. Es war kurz nachdem ich die erste Jahreshälfte von 2018 revue passieren ließ. Während ich 2017 durchwegs mit freundlichen Gedanken gegenüberstehe, ist das bei diesem Jahr anders. Während 2017 mit all den schönen Dingen gefüllt war, mit Hochzeitsvorbereitungen, Zeit mit Freunden, neuen Erfahrungen über und unter dem Meeresspiegel, denke ich bei 2018 an den Tod von vier Menschen, an niederschmetternde Erlebnisse rund um den Familienbetrieb und die darin verwobene Familie, an enormen Gegenwind beim Vorhaben, meiner Entscheidungen wieder habhaft zu werden, und und und. Doch dann, irgendwann plötzlich, kippt ein Schalter. Während ich am einen Tag noch knapp an einem Mininervenzusammenbruch vorbeigeschrammt war, bei dem ich mit dem Kopf in den Händen wimmerte, dass ich jetzt keine Caches mehr suchen oder sonst etwas tun will, sondern mich einfach nur zuhause auf der Couch vor Prime und Netflix vergraben möchte, weil mir zu allem anderen schlicht die Kraft fehlt, plante ich kurze Zeit später nach einem Polterwochenende und einem Minibloggertreffen noch einen kleinen Kroatien-Roadtrip hinten dran. Während ich am Montag noch zeterte, dass Dieser oder Jener mit dem Kopf in den Wolken und ein anderer mit den Klauen viel zu nah an mir dran die Planung meiner zukünftigen Lebenssituation durcheinander brachten und irgendwie unmöglich machten, sehe ich am Freitag die Option für etwas ganz Neues, Unbelastetes, aber doch Machbares.

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Frühling in der Stadt: Wiener Stadtsichten / Viennese Cityscapes & [Wort] bräsig

Am 19. September 2016 schenkte mir die liebe Moni ein Wort. Seitdem nagt es an mir, da sich der passende Beitrag dazu einfach noch nicht gefunden hatte. Nun ist es soweit – was lange währt wir endlich gut (oder so). Liebe Moni, heute gibt es ein lang ersehntes Hakerl auf der Wörterliste und ich atme auf 😉

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